Verfahrensinformation

Die Klägerin erstrebt die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.


Der Beklagte steht als Oberregierungsrat im Dienst des Bundesnachrichtendienstes. Nach Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens hat die Klägerin Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis erhoben. Sie wirft dem Beklagten vor, vorsätzlich gegen seine Pflicht zur Amtsverschwiegenheit, seine dienstliche Folgepflicht sowie gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensvollem Verhalten verstoßen zu haben. Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten.


Urteil vom 02.03.2023 -
BVerwG 2 A 19.21ECLI:DE:BVerwG:2023:020323U2A19.21.0

Leitsätze:

1. Die Verletzung der Verschwiegenheitspflicht (§ 67 Abs. 1 BBG) ist in Verwaltungsbereichen, in denen die Geheimhaltungspflicht von besonderer Bedeutung ist - insbesondere beim Auslandsgeheimdienst -, ein schwerwiegendes Dienstvergehen, das eine Disziplinarmaßnahme bis zur Entfernung aus dem Beamtenverhältnis rechtfertigen kann.

2. Unterzeichnet der Dienstvorgesetzte die Disziplinarklageschrift vor Beteiligung des Personalrats, bedarf es keiner erneuten Befassung des Dienstvorgesetzten mit dem disziplinarischen Vorgang, wenn der Personalrat seine Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme erteilt.

  • Rechtsquellen
    BBG § 67 Abs. 1
    BDG § 13 Abs. 2 Satz 1
    BPersVG § 84 Abs. 1 Nr. 4

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Urteil vom 02.03.2023 - 2 A 19.21 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:020323U2A19.21.0]

Urteil

BVerwG 2 A 19.21

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 2. März 2023
durch die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dr. Günther,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Hampel
und den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hissnauer
für Recht erkannt:

  1. Der Beklagte wird aus dem Beamtenverhältnis entfernt.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I

1 Mit ihrer Disziplinarklage erstrebt die Klägerin die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

2 Der 1972 geborene Beklagte ist geschieden und Vater von zwei erwachsenen Kindern. Er steht nach vorangehender Tätigkeit in der Privatwirtschaft seit Juni 2002 im Dienst der Klägerin und wird seit November 2007 beim Bundesnachrichtendienst (BND), derzeit als Oberregierungsrat (Besoldungsgruppe A 14 BBesO), verwendet. In seiner letzten aktenkundigen dienstlichen Beurteilung erhielt der Beklagte die Gesamtnote 6 (entspricht den Anforderungen in jeder Hinsicht, wobei diese gelegentlich übertroffen werden). Ein in der Vergangenheit durchgeführtes Disziplinarverfahren fand ohne Verhängung einer Disziplinarmaßnahme seinen Abschluss.

3 Von August 2009 bis September 2012 war der Beklagte als ... tätig. Hierbei oblag ihm unter anderem die ...

4 ...

5 ...

6 ... Der BND leitete daraufhin unter dem 3. Juli 2015 ein Disziplinarverfahren gegen den Beklagten ein und stellte Strafanzeige. Das Disziplinarverfahren setzte er bis zum Abschluss des Strafverfahrens vorübergehend aus. Nachdem der BND dem Beklagten zwischenzeitlich unter anderem die Führung der Dienstgeschäfte untersagt hatte, enthob er ihn im Januar 2016 vorläufig des Dienstes.

7 Am 14. August 2018 verurteilte das Amtsgericht ... den Beklagten wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Geldstrafe. Das Landgericht ... stellte das Verfahren nach § 153a Abs. 2 StPO und Zahlung einer Geldauflage durch den Beklagten mit Beschluss vom 8. Juni 2020 endgültig ein, weil sich die Beweislage dadurch verändert hatte, dass der beim Amtsgericht noch als Zeuge vernommene Abgeordnete nunmehr von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machte. In beiden Instanzen ließ sich der Beklagte schriftlich zur Sache ein.

8 Unter dem 12. November 2021 unterschrieb der Vizepräsident des BND die Disziplinarklageschrift und zeichnete in Vertretung die dazugehörige "Leitungsvorlage" ab. Der auf Antrag des Beklagten beteiligte Personalrat stimmte danach der Erhebung der Disziplinarklage zu.

9 Die Klägerin hat am 2. Dezember 2021 durch den Präsidenten des BND, dieser vertreten durch den Vizepräsidenten, Disziplinarklage erhoben. Sie wirft dem Beklagten vor, ... insbesondere gegen die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit verstoßen zu haben. ... Der Beklagte habe ein schwerwiegendes Dienstvergehen begangen und das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit endgültig verloren.

10 Die Klägerin beantragt,
den Beklagten aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

11 Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

12 Er trägt im Wesentlichen vor: Die Klage sei von einer unzuständigen Person erhoben worden. Ein Vertretungsfall habe nicht vorgelegen. Die Personalvertretung sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Die Abschlussentscheidung des Dienstvorgesetzten nach Durchführung des Mitwirkungsverfahrens fehle. Mit der Entscheidung über die Einleitung des Disziplinarverfahrens sei der Präsident des BND erst am 23. Juni 2015 befasst worden, ... Es sei einseitig zu seinen Lasten ermittelt worden, zudem habe Druck auf die Strafverfolgungsbehörden ausgeübt werden sollen. Befremdlich sei die handschriftliche Aufforderung auf der Leitungsvorlage, den Abgeordneten gelegentlich mündlich zu unterrichten. ...

13 In der mündlichen Verhandlung hat der Senat Beweis erhoben durch Vernehmung des Richters am Amtsgericht B. zum Inhalt der Aussage des Abgeordneten in der Hauptverhandlung zum Strafverfahren gegen den Beklagten vor dem Amtsgericht ... Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

14 Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Beteiligten, auf die dem Senat vorliegende Akte des behördlichen Disziplinarverfahrens, die Personalakten des Beklagten sowie die Akten zur Strafsache ... verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Beratung waren.

II

15 Die Disziplinarklage, über die der Senat in erster und letzter Instanz (§ 50 Abs. 1 Nr. 4 VwGO und § 45 Satz 5 BDG) entscheidet, ist zulässig und führt zur Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

16 1. Mit den innerhalb der Zwei-Monats-Frist des § 55 Abs. 1 BDG erhobenen Rügen zeigt der Beklagte keine wesentlichen Mängel des behördlichen Disziplinarverfahrens auf. Die Einleitung des Disziplinarverfahrens ist nicht verspätet erfolgt (a). Die Beteiligung des Personalrats lässt Rechtsfehler nicht erkennen (b). Zudem fehlt es nicht an einer Abschlussentscheidung des Dienstvorgesetzten (c). Ein Verstoß gegen die Pflicht zur Durchführung von Ermittlungen i. S. d. § 21 Abs. 1 Satz 1 und 2 BDG liegt nicht vor (d).

17 a) Der aus § 17 Abs. 1 Satz 1 BDG resultierenden Dienstpflicht, ein Disziplinarverfahren einzuleiten, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, hat der Dienstvorgesetzte genügt.

18 Zureichende tatsächliche Anhaltspunkte, die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen, lagen dem BND erst im Mai 2015 vor. Denn zu diesem Zeitpunkt erhielt der BND durch den Abgeordneten - trotz vorheriger Kommunikation insbesondere im November 2014 - sichere Kenntnis von der Person des Beklagten als Hinweisgeber. Dies lässt sich dem Akteninhalt des behördlichen Disziplinarverfahrens entnehmen und ist in der mündlichen Verhandlung von der Vertreterin der Klägerin bestätigt worden, wonach man erst im "Frühsommer oder Frühjahr 2015" die entsprechende Bestätigung erhalten habe. Darüber hinaus deckt sich die zeitliche Einordnung mit der Aussage des Zeugen B., den der Senat zum Inhalt der Aussage des Abgeordneten im Strafverfahren gegen den Beklagten als Zeuge vernommen hat, weil der Abgeordnete zwischenzeitlich von seinem Zeugnisverweigerungsrecht (Art. 47 Satz 1 GG, § 58 Abs. 3 BDG i. V. m. § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 StPO) Gebrauch gemacht hatte. Die Vernehmung der richterlichen Verhörsperson über den Inhalt der Aussage des sich erst später auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufenden Zeugen ist als Ausnahme von § 252 StPO zulässig (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Juli 2016 - GSSt 1/16 - BGHSt 61, 221 = juris Rn. 27 ff.). Der Zeuge B. bekundet, dass dieser in seiner Vernehmung vor dem Amtsgericht ausgesagt hat, den Namen des Beklagten erst ein halbes Jahr später auf Vorhalt des damaligen Präsidenten des BND genannt zu haben. In diesen zeitlichen Ablauf fügt sich ein, dass sich der Beklagte in seinen schriftlichen Erklärungen vom 26. Juli 2018 (S. 20) und 13. Februar 2020 (S. 8) gegenüber dem Amts- und Landgericht dahingehend eingelassen hat, erst im Mai 2015 zu einer Anhörung geladen worden zu sein. Ohne zeitliche Verzögerung hat der BND im Anschluss hieran unter dem 3. Juli 2015 das Disziplinarverfahren gegen den Beklagten eingeleitet.

19 b) Die Beteiligung des Personalrats entspricht den gesetzlichen Vorgaben.

20 Nach § 84 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 BPersVG wirkt der Personalrat bei Erhebung der Disziplinarklage gegen einen Beamten nur auf Antrag des Beschäftigten mit. Einen solchen Antrag hat der Beklagte gestellt. Die beabsichtigte Maßnahme war demzufolge vor der Durchführung mit dem Ziel einer Verständigung rechtzeitig und eingehend mit dem Personalrat zu erörtern (vgl. § 81 Abs. 1 BPersVG). Diesen Anforderungen hat die Klägerin entsprochen.

21 (Erst) Mit dem Entschluss des Dienstherrn zur Klageerhebung entsteht der personalvertretungsrechtliche Mitwirkungstatbestand, der sich auf Antrag des Beamten aktualisiert (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <255>). Die Abschlussentscheidung ist am 12. November 2021 durch das Abzeichnen der Leitungsvorlage getroffen worden. Auf dieses Datum datiert auch die Disziplinarklage, die indes erst am 2. Dezember 2021 erhoben worden ist. In dem durch den Antrag des Beklagten veranlassten Schreiben des BND an den Personalrat vom 18. November 2021 hat dieser als Anlage nicht nur dessen Stellungnahme vom 18. August 2021 übermittelt, sondern dem Personalrat auch das Angebot zu einem Gespräch nach § 81 Abs. 1 BPersVG unterbreitet. Zu dieser Erörterung ist es nach Angaben der Klägerin am 23. November 2021 gekommen. Der Personalrat hat unter dem 25. November 2021 der Erhebung der Disziplinarklage zugestimmt. Der Einwand des Beklagten, die Klägerin habe die Zehn-Tages-Frist des § 81 Abs. 2 Satz 1 BPersVG nicht eingehalten, geht fehl. Denn die Frist beinhaltet lediglich eine Billigungsfiktion (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Januar 1995 - 6 P 22.92 - BVerwGE 97, 349 <354>) in Bezug auf die in Rede stehende Maßnahme. Sie verpflichtet aber nicht dazu, den Ablauf der Frist abzuwarten, sofern - wie hier - der Personalrat bereits vorher seine Zustimmung erteilt.

22 c) Die Abschlussentscheidung des Dienstvorgesetzten liegt vor.

23 Sie ist mit dem Entschluss zur Erhebung der Disziplinarklage am 12. November 2021 durch den Dienstvorgesetzten in der Person des Vizepräsidenten ... getroffen worden (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 2011 - 2 A 5.09 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 17 Rn. 42). Sie war, wie sich aus Vorstehendem ergibt, auch nicht erst nach Durchführung des Mitwirkungsverfahrens zu treffen.

24 d) Ein Verstoß gegen die Pflicht zur umfassenden Ermittlung des Sachverhalts liegt nicht vor.

25 Nach § 21 Abs. 1 Satz 1 BDG sind zur Aufklärung des Sachverhalts die erforderlichen Ermittlungen durchzuführen. Dabei sind die be- und entlastenden sowie die Umstände zu ermitteln, die für die Bemessung einer Disziplinarmaßnahme bedeutsam sind, § 21 Abs. 1 Satz 2 BDG. Hieran hat der BND das behördliche Disziplinarverfahren ausgerichtet.

26 Entgegen der Auffassung des Beklagten liegt ein Verstoß gegen die Ermittlungspflicht nicht etwa deshalb vor, weil der Entwurf der Disziplinarklageschrift vom April 2021 im Wesentlichen den Inhalt der im Dezember 2021 erhobenen Disziplinarklage aufweist. In diesem Zeitabschnitt bestand für den BND, gerade auch in medizinischer Hinsicht, kein Anlass für weitere Ermittlungen. Denn aus der vom Beklagten zum damaligen Zeitpunkt allein vorgelegten Stellungnahme der Psychologischen Psychotherapeutin K. vom 3. August 2021 ergaben sich ohne weitere Erläuterungen lediglich die Diagnose einer Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion und der Behandlungszeitraum. Soweit der Beklagte darüber hinaus das Fehlen von Unterlagen gerügt hat, hat der BND - soweit vorhanden - deren Beiziehung veranlasst. Ungeachtet dessen erschließt sich nicht und wird auch vom Beklagten nicht dargetan, inwiefern etwa aus den im Zusammenhang mit dem Verfahren der betrieblichen Wiedereingliederung angefallenen Dokumenten den Beklagten entlastende Umstände resultieren sollen.

27 Dem Beklagten ist zwar zuzugeben, dass sich in der internen Kommunikation des BND die Anmerkung findet, es solle auf inoffiziellem Weg "Druck" auf die Staatsanwaltschaft ausgeübt werden. Dem Gesamtzusammenhang lässt sich jedoch ohne Weiteres entnehmen, dass die Äußerung allein vor dem Hintergrund der seitens des BND angestrebten Beschleunigung des Strafverfahrens fiel. Von einseitig zulasten des Beklagten geführten Ermittlungen ist auch nicht deshalb auszugehen, weil mutmaßlich der Vizepräsident des BND auf der Leitungsvorlage - und folglich zu einem Zeitpunkt, als die disziplinarischen Ermittlungen ihren Abschluss gefunden hatten - vermerkt hat, der Abgeordnete solle "m. E. gelegentlich unterrichtet werden (mündlich)".

28 2. Mit seinen Rügen zeigt der Beklagte keine wesentlichen Mängel der Klageschrift auf. Die Erhebung der Disziplinarklage ist ohne Rechtsfehler erfolgt.

29 Nach § 34 Abs. 2 Satz 2 BDG kann die oberste Dienstbehörde ihre Befugnis zur Erhebung der Disziplinarklage durch allgemeine, im Bundesgesetzblatt zu veröffentlichende Anordnung ganz oder teilweise auf nachgeordnete Dienstvorgesetzte übertragen (BVerwG, Beschluss vom 11. März 2021 - 2 B 76.20 - Buchholz 235.1 § 34 BDG Nr. 7 Rn. 8). Hiervon ist für den Zuständigkeitsbereich der Klägerin durch die Anordnung zur Übertragung disziplinarrechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse im Bereich des Bundesnachrichtendienstes vom 28. Januar 2002 (BGBl. I S. 560) Gebrauch gemacht worden, gemäß deren Ziff. 3 die Befugnis, nach § 34 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 1 BDG Disziplinarklage zu erheben, der Präsidentin oder dem Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes übertragen wird.

30 In Wahrnehmung dieser Befugnis hat der Vizepräsident ... als Vertreter des zum maßgeblichen Zeitpunkt krankheitsbedingt verhinderten Präsidenten Disziplinarklage erhoben. Dass er die Disziplinarklageschrift bereits am 12 November 2021 und damit vor Zustimmung des Personalrats vom 25. November 2021 unterzeichnet hat, ist unschädlich. Im Rahmen seiner Mitwirkung stehen dem Personalrat nur Einwendungen hinsichtlich des "Ob" der Disziplinarklageerhebung aus den in § 84 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. § 78 Abs. 5 Nr. 1 und 2 BPersVG bezeichneten Gründen zu (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <256>). Erteilt er jedoch - wie hier - seine Zustimmung zu der beabsichtigten Maßnahme, ist eine erneute Befassung des Dienstvorgesetzten mit dem disziplinarischen Vorgang, insbesondere im Hinblick auf die gebotene beschleunigte Durchführung des behördlichen Disziplinarverfahrens, nicht erforderlich.

31 Es ist darüber hinaus nicht zu beanstanden, dass die Klägerin in der Disziplinarklageschrift ausführlich den persönlichen und beruflichen Werdegang des Beklagten wertneutral dargestellt hat. Hierzu war sie im Hinblick auf § 52 Abs. 1 Satz 2 BDG verpflichtet.

32 3. Der Senat sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

33 ...

34 4. Die tatsächlichen Feststellungen beruhen auf den schriftlichen Erklärungen des Beklagten gegenüber dem Amts- und Landgericht, der verwertbaren schriftlichen Stellungnahme des Abgeordneten gegenüber dem BND vom 19. Juni 2015 sowie auf der Aussage des Zeugen B. in der mündlichen Verhandlung.

35 5. Mit dem festgestellten Verhalten hat der Beklagte die ihm obliegenden Dienstpflichten vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verletzt. Damit hat er ein einheitliches, innerdienstliches Dienstvergehen im Sinne des § 77 Abs. 1 Satz 1 BBG begangen.

36 a) Durch die Hinweise an den ... hat der Beklagte gegen seine Verschwiegenheitspflicht aus § 67 Abs. 1 BBG, seine dienstliche Folgepflicht aus § 62 Abs. 1 Satz 2 BBG und gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensvollem Verhalten nach § 61 Abs. 1 Satz 3 BBG verstoßen.

37 b) Hinsichtlich dieser Verstöße ist dem Beklagten zumindest bedingter Vorsatz vorzuwerfen ... Diese Behauptung ist in Anbetracht des Detaillierungsgrades der Angaben nicht nachvollziehbar.

38 c) Gegen die vorgenannten Dienstpflichten hat der Beklagte rechtswidrig verstoßen. Insbesondere war die den Beklagten gemäß § 67 Abs. 2 BBG treffende Verschwiegenheitspflicht nicht dispensiert. Er war insbesondere nicht aufgrund von wie auch immer gearteten Vertraulichkeitszusagen des Abgeordneten, die er seinen Angaben zufolge von diesem erhalten haben will, zur Weitergabe der dienstlich erlangten Informationen berechtigt.

39 d) Der Beklagte hat zudem schuldhaft gehandelt.

40 e) Hierin liegt ein einheitliches innerdienstlich begangenes Dienstvergehen, weil das pflichtwidrige Verhalten des Beklagten in sein Amt und in die damit verbundenen dienstlichen Pflichten eingebunden gewesen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 29. Juli 2010 - 2 A 4.09 - juris Rn. 194 und vom 15. November 2018 - 2 C 60.17 - BVerwGE 163, 356 Rn. 19). Besteht diese Verknüpfung, kommt es nicht darauf an, ob das Dienstvergehen innerhalb oder außerhalb der Dienstzeit begangen wird.

41 6. Das Dienstvergehen erfordert seiner Art und Schwere nach eine statusberührende Disziplinarmaßnahme. Unter Berücksichtigung sämtlicher bemessungsrelevanter Umstände ist das Dienstvergehen des Beklagten mit dessen Entfernung aus dem Beamtenverhältnis (§ 10 BDG) zu ahnden.

42 a) Welche Disziplinarmaßnahme erforderlich ist, richtet sich gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 bis 4 BDG nach der Schwere des Dienstvergehens unter angemessener Berücksichtigung der Persönlichkeit des Beamten. Aus den gesetzlichen Vorgaben folgt die Verpflichtung, die Disziplinarmaßnahme aufgrund einer prognostischen Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller im Einzelfall be- und entlastenden Gesichtspunkte zu bestimmen. Ferner soll berücksichtigt werden, in welchem Umfang das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit beeinträchtigt worden ist. Dies entspricht dem Zweck der Disziplinarbefugnis als einem Mittel der Sicherung der Funktion des öffentlichen Dienstes. Danach ist Gegenstand der disziplinarrechtlichen Betrachtung und Wertung die Frage, welche Disziplinarmaßnahme in Ansehung der Persönlichkeit des Beamten geboten ist, um die Funktionsfähigkeit des öffentlichen Dienstes und die Integrität des Berufsbeamtentums möglichst ungeschmälert aufrechtzuerhalten (vgl. BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <258 ff.>, vom 3. Mai 2007 - 2 C 9.06 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 3 Rn. 16 ff., vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - DokBer 2012, 260 = juris Rn. 71 m. w. N. und vom 2. Dezember 2021 - 2 A 7.21 - BVerwGE 174, 219 Rn. 46).

43 Bei der Gesamtwürdigung sind die im Einzelfall bemessungsrelevanten Tatsachen nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 BDG zu ermitteln und mit dem ihnen zukommendem Gewicht in die Bewertung einzubeziehen. Als maßgebendes Bemessungskriterium ist die Schwere des Dienstvergehens gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BDG richtungweisend für die Bestimmung der erforderlichen Disziplinarmaßnahme. Dies bedeutet, dass das festgestellte Dienstvergehen nach seiner Schwere einer der im Katalog des § 5 BDG aufgeführten Disziplinarmaßnahme zuzuordnen ist. Davon ausgehend kommt es für die Bestimmung der Disziplinarmaßnahme darauf an, ob Erkenntnisse zum Persönlichkeitsbild und zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung im Einzelfall derart ins Gewicht fallen, dass eine andere als die durch die Schwere des Dienstvergehens indizierte Disziplinarmaßnahme geboten ist (BVerwG, Urteile vom 29. März 2012 - 2 A 11.10 - DokBer 2012, 260 = juris Rn. 72 f. m. w. N. und vom 2. Dezember 2021 - 2 A 7.21 - BVerwGE 174, 219 Rn. 47). Bei einem endgültigen Vertrauensverlust des Dienstherrn oder der Allgemeinheit ist der Beamte gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

44 Die prognostische Frage nach dem Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn oder der Allgemeinheit (§ 13 Abs. 1 Satz 4 BDG) betrifft die Erwartung, dass sich der Beamte aus der Sicht des Dienstherrn und der Allgemeinheit so verhält, wie es von ihm im Hinblick auf seine Dienstpflichten als berufserforderlich erwartet wird. Das Vertrauen des Dienstherrn oder der Allgemeinheit in die Person des Beamten bezieht sich in erster Linie auf dessen allgemeinen Status als Beamter, daneben aber auch auf dessen konkreten Tätigkeitsbereich innerhalb der Verwaltung und auf dessen konkret ausgeübte Funktion. Ob und gegebenenfalls inwieweit eine Beeinträchtigung des Vertrauens des Dienstherrn vorliegt, ist nach objektiven Gesichtspunkten zu beurteilen. Entscheidend ist nicht die subjektive Einschätzung des jeweiligen Dienstvorgesetzten, sondern die Frage, inwieweit der Dienstherr bei objektiver Gewichtung des Dienstvergehens auf der Basis der festgestellten belastenden und entlastenden Umstände noch darauf vertrauen kann, dass der Beamte in Zukunft seinen Dienstpflichten ordnungsgemäß nachkommen wird. Entscheidungsmaßstab ist insoweit, in welchem Umfang die Allgemeinheit dem Beamten noch Vertrauen in eine zukünftig pflichtgemäße Amtsausübung entgegenbringen kann, wenn ihr das Dienstvergehen einschließlich der belastenden und entlastenden Umstände bekannt würde. Dies unterliegt uneingeschränkter verwaltungsgerichtlicher Überprüfung. Ein Beurteilungsspielraum des Dienstherrn besteht nicht (BVerwG, Urteile vom 20. Oktober 2005 - 2 C 12.04 - BVerwGE 124, 252 <260>, vom 28. Februar 2013 - 2 C 62.11 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 19 Rn. 56 und vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 38).

45 b) Nach diesen Maßstäben hat der Beklagte ein schweres Dienstvergehen im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG begangen. Dabei überragt der Verstoß gegen die Verschwiegenheitspflicht die gleichzeitig begangenen Verstöße gegen die dienstliche Folgepflicht und gegen seine Pflicht zu achtungs- und vertrauensvollen Verhalten deutlich. Er wiegt besonders schwer und rechtfertigt bereits für sich betrachtet die Entfernung des Beklagten aus dem Beamtenverhältnis.

46 Die Verschwiegenheitspflicht der Beamten gehört zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums (Art. 33 Abs. 5 GG), ihr kommt Verfassungsrang zu. Die Pflicht der öffentlichen Amtsträger zur Amtsverschwiegenheit dient der Aufrechterhaltung und dem einwandfreien Funktionieren einer geordneten öffentlichen Verwaltung, weil sie nur dann rechtsstaatlich einwandfrei, zuverlässig und unparteiisch arbeiten kann, wenn sichergestellt ist, dass über dienstliche Vorgänge von Seiten der Behördenbediensteten nach außen grundsätzlich Schweigen bewahrt wird. Sie ist eine der wichtigsten Pflichten der öffentlichen Amtsträger (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 1970 - 1 BvR 690/65 - BVerfGE 28, 191 <198 f.>; BVerwG, Urteile vom 25. Februar 1971 - 2 C 11.70 - BVerwGE 37, 265 <268 f.> und vom 24. Juni 1982 - 2 C 91.81 - BVerwGE 66, 39 <41 f.>).

47 Gemessen an seinem Statusamt hat der Beklagte durch die Hinweise ... gegen eine Hauptpflicht aus dem Beamtenverhältnis verstoßen. Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit hat der Beklagte endgültig verloren.

48 Die Pflicht zur Amtsverschwiegenheit betraf den Beklagten in gesteigertem Umfang. Es ist offenkundig, dass insbesondere die Teile der Staatsverwaltung, denen die Sorge für Bestand und äußere Sicherheit des Staates obliegt, in besonderem Maße auf die Verschwiegenheit aller ihrer Bediensteten angewiesen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. April 1970 - 1 BvR 690/65 - BVerfGE 28, 191 <199>). Dies gilt insbesondere für die Tätigkeit beim Auslandsgeheimdienst. Geheimnisschutz ist unabdingbare Voraussetzung der nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Der Beklagte ist daher über die allgemein geltende Pflicht zur Verschwiegenheit hinaus aufgrund des sensiblen Bereichs, in dem er seine Tätigkeit verrichtet hat, wiederholt über seine Pflicht zur Geheimhaltung belehrt worden. Der zuverlässige Umgang mit vertraulichen und der Geheimhaltung unterliegenden Informationen gehört zum Wesenskern der Tätigkeit des BND, mithin steht und fällt die "Eignung" der dort Beschäftigten mit der Fähigkeit und Bereitschaft, den daraus resultierenden Anforderungen zu genügen.

49 ...

50 ...

51 ....

52 c) Durchgreifende entlastende Umstände bzw. von der Rechtsprechung entwickelte "anerkannte" Milderungsgründe kommen dem Beklagten nicht zugute.

53 aa) Im Hinblick auf mögliche entlastende Gesichtspunkte ist dem Umstand, dass der Beklagte weder straf- noch disziplinarrechtlich vorbelastet ist und seine dienstlichen Leistungen zuletzt mit "entspricht den Anforderungen in jeder Hinsicht, wobei diese gelegentlich übertroffen werden" bewertet wurden, keine ausschlaggebende Bedeutung beizumessen; eine straffreie außerdienstliche Lebensführung und ordnungsgemäße Erfüllung der Dienstpflichten darf der Dienstherr von jedem Beamten erwarten (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Urteile vom 28. Februar 2013 - 2 C 3.12 - BVerwGE 146, 98 Rn. 43, vom 16. Juni 2020 - 2 C 12.19 - BVerwGE 168, 254 Rn. 41 und vom 28. September 2022 - 2 A 17.21 - Buchholz 232.0 § 61 BBG 2009 Nr. 3 Rn. 111). Den Beklagten entlastet auch nicht maßgeblich, dass er für seine Teilnahme am "Ideenwettbewerb" des BND mit einem anerkennenden Schreiben des Präsidenten bedacht worden ist.

54 bb) Die Voraussetzungen des Milderungsgrundes der persönlichkeitsfremden Augenblickstat liegen nicht vor (vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 27. Januar 1988 - 1 D 50.87 - juris Rn. 21, vom 4. Juli 2000 - 1 D 33.99 - juris Rn. 19 und vom 19. Dezember 2015 - 2 C 6.14 - BVerwGE 154, 10 Rn. 32; Beschluss vom 9. Oktober 2014 - 2 B 60.14 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 26 Rn. 28 f.). Das Verhalten des Beklagten stellt bereits keine Kurzschlusshandlung dar, sondern war Resultat eines überlegten Handelns. Selbst wenn man eine Kurzschlusshandlung noch in der ersten Äußerung erkennen wollte, der BND sei auch überall, hätte der Beklagte jedenfalls hieran anknüpfenden Nachfragen ... standhalten und weitere Hinweise unterlassen müssen. Stattdessen hat der Beklagte im weiteren Verlauf des Gesprächs seine Angaben willentlich weiter präzisiert und den Kreis der in Betracht kommenden Personen in einer Weise enger gezogen, die es dem ... ermöglichte, ... zu identifizieren.

55 cc) Nichts anderes gilt hinsichtlich des Milderungsgrund der "Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase" (vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 15. Juni 2016 - 2 B 49.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 36 Rn. 10 und vom 12. Juli 2018 - 2 B 1.18 - Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr. 1 Rn. 15). Denn selbst wenn zugunsten des Beklagten eine solche unterstellt wird, bestand diese - wie sich aus der Einlassung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung ergibt - zum Zeitpunkt des Treffens mit dem Abgeordneten am 16. Oktober 2014 nicht mehr.

56 dd) Für den Beklagten streitet zudem nicht der Milderungsgrund der freiwilligen Offenbarung des Fehlverhaltens vor der drohenden Entdeckung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. März 2022 - 2 B 46.21 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 55 Rn. 22). Der Beklagte hat zwar am Tag nach dem Gespräch mit dem Abgeordneten den Sicherheitsbereich des BND aufgesucht. Dies geschah jedoch nicht im Hinblick auf sein Fehlverhalten, sondern ausschließlich, um über das unerwartete Erscheinen eines dem Beklagten unbekannten Dritten zu berichten, der im weiteren Verlauf der Unterredung vom 16. Oktober 2014 hinzukam und den Abgeordneten mutmaßlich damit konfrontierte, mit diesem verabredet zu sein, bevor er sich wieder entfernte.

57 ee) Es ist zugunsten des Beklagten auch nicht maßnahmemildernd davon auszugehen, dass der Beklagte unter dem Drängen und dem Druck des Abgeordneten verleitet worden ist, die Informationen zu den ... preiszugeben.

58 Dies hat der Senat nicht mit der erforderlichen Überzeugungsgewissheit feststellen können. Denn während der Beklagte in seiner schriftlichen Erklärung vor dem Amtsgericht aus dem Jahr 2018 von einer solchen Verhaltensweise des Abgeordneten nicht berichtet hat, hat er die in fast allen Teilen wortlautidentische Erklärung gegenüber dem Landgericht an verschiedenen Stellen dahingehend ergänzt, dass er die weiteren Hinweise erst auf das Drängen des Abgeordneten gegeben haben will. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat er die Situation so beschrieben, dass er auf seine ursprüngliche Äußerung, der BND sei auch überall, vom Abgeordneten "völlig überfahren" und "so richtig bedrängt" worden sei. Der Abgeordnete habe "sehr sehr viel Druck" auf ihn ausgeübt und ihn "gegrillt".

59 Dies stellt eine deutliche Steigerung im Vortrag des Beklagten dar, die er nicht plausibel zu erklären vermocht hat. Darum gebeten zu beschreiben, was er unter "sehr viel Druck" verstehe, hat der Beklagte lediglich geantwortet, der Abgeordnete habe immer wieder betont, dass er "eben als Abgeordneter berechtigt ist, sowas zu erfahren", er die VS-Ermächtigung habe und diese Informationen unbedingt wissen müsse. Des Weiteren hat der Beklagte angegeben, das Statement, das er verlesen habe, sei nicht so gut formuliert gewesen, er habe "nicht diese Chance" gehabt, so wie er hier habe befragt werden können. Er habe beim zweiten Mal (und damit bei der Erklärung vor dem Landgericht) nochmal "nachgefasst", damit es deutlicher werde.

60 Die Einlassung des Beklagten wertet der Senat als Schutzbehauptung. So hat der Beklagte sich nicht etwa mündlich vor den Strafgerichten eingelassen, sondern aus seiner Sicht geordnet sowie ausführlich über 27 bzw. elf Seiten sein Verhältnis zum Abgeordneten, die allgemeinen (beruflichen) Umstände und die Situation am 16. Oktober 2014 geschildert. Dass ihm bei der Formulierung seiner Erklärung im Jahr 2018 der für das Zustandekommen der Hinweise zentrale Aspekt des Drängens nicht bewusst gewesen sein will, hält der Senat für ausgeschlossen. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte die erste Erklärung, in der dem Abgeordneten ein Drängen oder das Ausüben von Druck noch nicht zugeschrieben worden war, am Ende des erstinstanzlichen Verfahrens und somit in Kenntnis der Aussage des Abgeordneten vorgebracht hat. Zuletzt überzeugt auch der Einwand nicht, er habe "nicht diese Chance" gehabt, befragt zu werden. Denn dem Beklagten stand es auch im strafgerichtlichen Verfahren frei, seine schriftlichen Erklärungen durch mündliche Einlassungen zu ergänzen. Hiervon hat er ausweislich der Protokolle zur Hauptverhandlung keinen Gebrauch gemacht.

61 ff) Es kann ebenso wenig maßnahmemildernd Berücksichtigung finden, dass der Beklagte mit den Hinweisen zu ... den ... und den BND vor Schaden bewahren wollte.

62 Der Beklagte hat seine "Motivation" nicht nachvollziehbar darzustellen vermocht. Hierzu hat er in seinen schriftlichen Erklärungen aus den Jahren 2018 und 2020 angegeben, ... Der Senat erachtet dieses Vorbringen als bloße Schutzbehauptung. Denn es erschließt sich nicht, warum der Beklagte nicht bereits 2012, als er für die ... zuständig war, Maßnahmen zum "Schutz" des Abgeordneten und des BND ergriffen hat, sofern er hier tatsächlich ein Schadenspotential gesehen hat. Warum der Beklagte außerdem Hinweise nicht nur zu diesem, sondern zu beiden von ihm ... gegeben hat, bleibt ebenso offen wie die Frage, wie seine erklärte Absicht, (auch) den BND vor Schaden zu bewahren, durch die Mitteilung (allein) an den Abgeordneten gewährleistet werden sollte. Hierzu in der mündlichen Verhandlung befragt, konnte der Beklagte keine zur Plausibilisierung geeigneten Angaben machen.

63 Der Senat konnte vor diesem Hintergrund nicht zu der Überzeugung gelangen, dass sich der Beklagte aufgrund der vom Abgeordneten mutmaßlich erneut geäußerten Befürchtung, von einem amerikanischen Geheimdienst abgehört zu werden, in einem unüberlegten Moment spontan zu der Äußerung hat hinreißen lassen, der BND sei auch überall, der Abgeordnete solle auf sein Umfeld aufpassen. Denn während er "[mit] dieser persönlichen Sorge meines guten Bekannten konfrontiert" die Äußerung seinen schriftlichen Erklärungen zufolge gemacht haben will, weil er den Abgeordneten dahingehend sensibilisieren wollte, "dass Informationen aus seinem Umfeld in falsche Kanäle geraten könnten", und insofern das fürsorgende Gepräge seines Verhaltens betont hat, hat er dies vor dem Senat anders dargestellt. In der mündlichen Verhandlung hat er erklärt, er sei von dem Thema genervt gewesen und habe es "abschmettern" und damit zum Ausdruck bringen wollen, "jetzt lass mich in Ruhe damit". Durchgreifende Zweifel an einer spontanen, gleichsam unbedachten Äußerung bestehen auch deshalb, weil das Thema wiederholt Gegenstand der gemeinsamen Treffen gewesen sein soll. Es erschließt sich zudem nicht, wie der Beklagte mit einer solchen Bemerkung, die die Aufmerksamkeit und das Interesse des Abgeordneten an weitergehenden Informationen herausfordern musste, das Thema beenden wollte. Der Senat geht daher davon aus, dass der Beklagte schon die erste Äußerung zum eigenen Vorteil bewusst hat fallen lassen, auch wenn für den Senat nicht feststellbar war, ob der Vorteil aus Sicht des Beklagten darin bestand, dass er sich die Unterstützung des Abgeordneten bei der Suche nach einer anderweitigen Tätigkeit erhoffte oder aus anderen auf seine Person bezogenen Gründen.

64 Bei alledem kann dahinstehen, ob der Abgeordnete den Beklagten im Rahmen eines Telefonats am Folgetag um Bestätigung ... bat. Denn selbst wenn man dies zugunsten des Beklagten unterstellen wollte, ist dies gerade kein Beleg dafür, dass der ... nicht in der Lage gewesen sein soll, aufgrund der Hinweise des Beklagten die ... zu identifizierten ("..." - vgl. S. 14 bzw. 5 der schriftlichen Erklärungen aus den Jahren 2018 und 2020).

65 gg) Zuletzt ist beim Beklagten nicht vom Bestehen einer verminderten Schuldfähigkeit oder krankhaften Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit unterhalb der Schwelle einer seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20 und 21 StGB auszugehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Oktober 2019 - 2 B 79.18 - NVwZ-RR 2020, 749 Rn. 13).

66 Auf solche Umstände hat sich der Beklagte weder im behördlichen Disziplinarverfahren, in seinen schriftlichen Erklärungen aus den Jahren 2018 und 2020 noch in der mündlichen Verhandlung berufen. Die dem Senat vorliegenden medizinischen Unterlagen enthalten auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Eingangsmerkmals i. S. d. §§ 20, 21 StGB oder für eine auf den hier maßgeblichen Zeitpunkt bezogene relevante Gesundheitsbeeinträchtigung mit Auswirkungen auf das disziplinarisch zu würdigende Verhalten. Es bestand kein Anlass, die Diplom-Psychologin K. und die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B., bei denen sich der Beklagte im maßgeblichen, auch den 16. Oktober 2014 umfassenden Zeitraum in Behandlung befand, als sachverständige Zeugen zu hören.

67 Zwar haben sowohl die Diplom-Psychologin K. als auch die Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. in ihren Stellungnahmen vom 17. und 21. Februar 2023 bei - wie bereits zuvor - voneinander abweichenden Diagnosen (Anpassungsstörung mit längerer depressiver Reaktion bzw. akute Belastungsreaktion) gestützt auf die Angaben des Beklagten von einem Arbeitsplatzkonflikt berichtet. Dass dieser in seiner Qualität über das übliche Maß hinausging oder den Beklagten derart belastet und dessen "Widerstandskraft" in einer Weise reduziert hat, dass die daraus resultierende gesundheitliche Beeinträchtigung für die Hinweise an den Abgeordneten bezüglich der ... zumindest mitursächlich war, ist für den Senat nicht ansatzweise ersichtlich. Soweit Frau Dr. B... ausgeführt hat, es sei naheliegend, dass sich der Beklagte im maßgeblichen Zeitraum schlecht behandelt gefühlt habe, enttäuscht, empört sowie misstrauisch gewesen sei, beschreibt sie lediglich eine allgemeine Gefühlslage, ohne hieraus Beeinträchtigungen mit Krankheitswert herzuleiten. Dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beklagten, deren Behandlungsbedürftigkeit im Januar 2015 endete, für sein Verhalten am 16. Oktober 2014 keine Rolle gespielt haben, ergibt sich auch aus dessen Selbsteinschätzung. Denn er hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass die ca. ein oder zwei Wochen vor dem Treffen mit dem Abgeordneten zutage getretene konkrete Aussicht auf eine Stelle und eine amtsangemessene Beschäftigung den zuvor bestehenden Leidensdruck beseitigt habe.

68 7. Anlass, von der gesetzlichen Regelung über den Unterhaltsbeitrag abzuweichen (§ 10 Abs. 3 BDG), besteht nicht.

69 8. Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 BDG und § 154 Abs. 1 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts für das gerichtliche Verfahren bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden.

Beschluss vom 02.11.2023 -
BVerwG 2 A 4.23ECLI:DE:BVerwG:2023:021123B2A4.23.0

  • Zitiervorschlag

    BVerwG, Beschluss vom 02.11.2023 - 2 A 4.23 - [ECLI:DE:BVerwG:2023:021123B2A4.23.0]

Beschluss

BVerwG 2 A 4.23

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 2. November 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Kenntner und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und Dr. Hissnauer
beschlossen:

  1. Die Anhörungsrüge des Beklagten gegen das Urteil vom 2. März 2023 - BVerwG 2 A 19.21 - wird zurückgewiesen.
  2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

1 1. Über die Anhörungsrüge ist in der geschäftsplanmäßigen Besetzung des Senats zu befinden. Eine Regelung − wie etwa in § 119 Abs. 2 Satz 3 VwGO für den Fall der Tatbestandsberichtigung −, nach der an der Entscheidung nur die Richter mitwirken dürften, die auch bei dem angegriffenen Urteil mitgewirkt haben, ist für die Anhörungsrüge nicht vorgesehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 6. November 2007 - 8 C 17.07 u. a. - juris Rn. 1; OVG Münster, Beschluss vom 13. Juni 2012 - 16 A 1127/12 - NVwZ-RR 2012, 779 Rn. 1 ff.; hierzu auch BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 188/09 - NVwZ 2009, 580 Rn. 16).

2 2. Die vom Beklagten erhobene Anhörungsrüge ist unbegründet, weil sie die für eine Fortführung des Verfahrens erforderliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 152a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VwGO) nicht aufzeigt. Die Frage, ob die vorgetragenen Rügen entscheidungserheblich wären (vgl. hierzu BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 188/09 - NVwZ 2009, 580 Rn. 13), bedarf daher keiner Erörterung.

3 Der in Art. 103 Abs. 1 GG gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör verbürgt als "prozessuales Urrecht" den Beteiligten eines Gerichtsverfahrens, vor Erlass einer Entscheidung, die ihre Rechte betrifft, zu Wort kommen und mit ihren Ausführungen und Anträgen Einfluss auf das Verfahren nehmen zu können (vgl. BVerfG, Plenumsbeschluss vom 30. April 2003 - 1 PBvU 1/02 - BVerfGE 107, 395 <408 f.>). Diese Ausführungen hat das Gericht zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. August 2018 - 3 BN 1.18 - juris Rn. 2). Einen Verstoß gegen diese Verpflichtung hat die Anhörungsrüge nicht aufgezeigt.

4 a) Mit der Rüge, der Senat habe die Schlüsse, die der Abgeordnete aus den vom Beklagten erlangten Informationen für sich und seine Tätigkeit als Obmann seiner Fraktion im NSA-Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages gezogen habe, nicht hinreichend berücksichtigt, wendet sich der Beklagte in der Sache gegen die vom Senat für richtig befundene Würdigung des gegen den Beklagten erhobenen Disziplinarvorwurfs. Daraus, dass der Senat der Sichtweise des Beklagten nicht gefolgt ist, lässt sich indes nicht auf eine mangelnde Berücksichtigung seines Vorbringens schließen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 24. Juni 2020 - 3 C 12.20 - juris Rn. 4). Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet das Gericht nicht, der Rechtsansicht des Beklagten zu folgen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. April 1983 - 2 BvR 678/81 u. a. - BVerfGE 64, 1 <12>). Dementsprechend gewährleistet § 152a VwGO auch nicht eine wiederholte inhaltliche Überprüfung der Entscheidung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2022 - 3 B 13.22 - juris Rn. 4).

5 Ausweislich der Begründung des Senatsurteils vom 2. März 2023 (Rn. 38) war der Beklagte auch gegenüber dem Abgeordneten nicht von seiner Verschwiegenheitspflicht befreit. Dies galt in besonderer Weise für Angaben zur Identität von Legendenwohnungsgebern (Rn. 47 ff.). Ausgehend hiervon ist für die Bewertung des dem Beklagten vorgeworfenen Dienstvergehens nicht erheblich, welche Schlüsse der Abgeordnete aus den vom Beklagten erhaltenen Informationen anschließend gezogen hat. Nach der − für die Beurteilung der geltend gemachten Verfahrensrüge maßgeblichen − Rechtsauffassung des Gerichts kommt diesen Fragen weder für die Beurteilung der Rechtswidrigkeit der Verschwiegenheitsverletzung noch im Rahmen der prognostischen Frage zum Umfang der Vertrauensbeeinträchtigung Bedeutung zu. Es bestand daher weder Veranlassung zu weiterer Sachverhaltsaufklärung noch zu einer weiteren "Berücksichtigung" dieser Aspekte. Im Übrigen hat der Senat die Angabe des Klägers, er habe zum Schutz des Abgeordneten (und des BND) gehandelt, als unglaubhaft bewertet (Rn. 62 ff.). Die geltend gemachten "billigenswerten Motive" lagen damit nach Auffassung des Senats − unabhängig von etwaigen Folgerungen des Abgeordneten − in keinem Falle vor.

6 b) Entsprechendes gilt für die vermisste Vernehmung der weiteren Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses. Abgesehen davon, dass der Beklagte einen entsprechenden Beweisantrag im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht gestellt hat, benennt auch die Rüge nicht, zu welchem Beweisthema eine etwaige Zeugenvernehmung hätte durchgeführt werden sollen. Unabhängig hiervon ist in der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, dass sich der Umfang der Beeinträchtigung des Vertrauens im Verhältnis zum Dienstherrn und zur Allgemeinheit bestimmt (Rn. 44). Die Entscheidung, ob die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 Satz 1 BDG vorliegen, obliegt dem Disziplinargericht und ist einer Beweisaufnahme, etwa durch die Befragung von bestimmten Personengruppen, nicht zugänglich. Ausgehend hiervon käme den Aussagen der Mitglieder des parlamentarischen Untersuchungsausschusses auch keine Bedeutung zu.

7 c) Auf eine Vernehmung der ursprünglich geladenen sachverständigen Zeuginnen zum Gesundheitszustand des Beklagten im maßgeblichen Zeitpunkt der Begehung des Dienstvergehens hat der Senat verzichtet, weil den vorliegenden Unterlagen kein Anhaltspunkt für eine Mitursächlichkeit der gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Hinweise an den Abgeordneten bezüglich der Legendenwohnungsgeber ersichtlich sei (Rn. 66 f.). Einen hierauf zielenden Beweisantrag hat der Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht gestellt. Auch die Rüge zeigt keine substantiierten Anhaltspunkte für eine abweichende Einschätzung auf; sie erschöpft sich vielmehr in der Wiedergabe der vom Beklagten getätigten Äußerungen.

8 d) Eine Ladung des Abgeordneten zum Termin der mündlichen Verhandlung schied aus, weil ein Bundestagsabgeordneter nach § 58 Abs. 3 BDG i. V. m. § 50 Abs. 1 StPO während der Sitzungswochen des Bundestags nicht außerhalb Berlins geladen werden darf. Einen Vertagungsantrag hat der Beklagte nicht gestellt.

9 Im Übrigen hat der Abgeordnete im Vorfeld der mündlichen Verhandlung an Eides statt versichert, dass der Beklagte ihm die mitgeteilten Informationen in Bezug auf das Abgeordnetenmandat anvertraut habe und er von dem ihm nach Art. 47 Satz 1 GG zustehenden Zeugnisverweigerungsrecht umfassend Gebrauch machen werde. Einen Antrag auf Vernehmung des Abgeordneten als Zeugen hat der Beklagte nachfolgend nicht gestellt.

10 Die mit der Rüge in Bezug genommene Befragung hinsichtlich der Auswirkungen der Hinweisgabe auf nachfolgende Entscheidungen des Abgeordneten wäre im Übrigen − wie bereits dargelegt − nicht entscheidungserheblich gewesen.

11 e) Aus diesem Grund geht auch der Einwand ins Leere, das Urteil habe den wesentlichen Kern des Vorbringens des Beklagten bei seiner Entscheidungsfindung unberücksichtigt gelassen. Der Senat hat die mit der Anhörungsrüge vorgebrachten Umstände gesehen, in der mündlichen Verhandlung erörtert (vgl. hierzu auch die Erwiderung der Klägerin mit den dort benannten Beispielen) und gewürdigt. Er hat ihnen indes nicht die vom Beklagten gewünschte Bedeutung zugemessen.

12 3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Streitwertfestsetzung bedarf es nach § 78 Satz 1 BDG nicht, weil Gerichtsgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 78 BDG erhoben werden (vgl. Nr. 50).